Jahrestagung 2011

Krieg und Demokratie

Warum führen Demokratien untereinander keine Kriege, ist die Qualität der Demokratie ein Friedensfaktor? Was ist Krieg und wie entsteht er? Welche unterschiedlichen Kriegsformen gibt es?

Diese zentralen Fragen haben wir auf unserer Jahrestagung im Mai 2011 diskutiert.

 

Redner

  • Rupert Neudeck, Gründer und Vorsitzender der Grünhelme e.V.
  • Dr. Nicolas Schwank, Politikwissenschaften Universität Heidelberg
  • Prof. Dr. Lothar Brock, Sozialwissenschaft Universität Frankfurt
  • Bruno Kaufmann, Journalist, Präsident des IRI Europe
  • Roman Huber, Michael Efler, Mehr Demokratie
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    Bericht von der Jahrestagung

    Wenn man sich von West nach Ost über die Autobahn auf den Weg nach Eisenach macht, wird der Krieg plötzlich wieder spürbar. Unweit der Stadt zog sich noch vor wenigen Jahren der Ost und West trennende Todesstreifen, die Markierung des Kalten Krieges.

    Für die Deutschen endete dieser Krieg 1989 mit der friedlichen Revolution und einem Sieg der Demokratie. Auch wenn einige Autoren mit dem Ende des Kalten Krieges auch das Ende der Geschichte prophezeiten, hat die Frage von Krieg und Frieden und der Rolle der Demokratien ihre Aktualität leider nie verloren. Grund genug für Mehr Demokratie, sich dieses Themas in der diesjährigen Jahrestagung in Eisenach anzunehmen.

    Krieg zu definieren, ist dabei schwieriger als gedacht. Dr. Nicolas Schwank wagte zum Einstieg am Freitagabend den Versuch. Schwank, der seit vielen Jahren in der Friedens- und Konfliktforschung tätig ist, berichtete dabei von den Schwierigkeiten der Wissenschaft, aus dem Phänomen des Krieges ein für die Forschung messbares Ereignis zu machen. Das erstaunliche Ergebnis der Konfliktforschung: Entgegen der Erwartung, die die meisten Teilnehmer der Tagung wohl bisher geteilt hatten, sind Kriege zwischen Staaten seit dem zweiten Weltkrieg die Ausnahme unter den Konflikten, die man in der Konfliktforschung als Krieg bezeichnet. Die weitaus überwiegende Zahl der Kriege sind innerstaatliche, also Bürgerkriege, bei denen es um Autonomie, Sezession oder die nationale Vorherrschaft im eigenen Land geht. Aus dieser Gewaltspirale kommen Staaten dann auch nur mit größten Anstrengungen wieder heraus. 80 Prozent der Kriegslast in der Welt tragen 20 Prozent der Staaten. Anders gesagt: Auf den Territorien dieser Staaten werden ständig blutige Konflikte ausgetragen, während in anderen Teilen der Welt der Krieg auf eigenem Boden nur noch eine Erinnerung ist.

    Kann die demokratische Entwicklung hierfür eine Lösung sein? Immerhin gibt es ja, so berichtete am Samstag morgen Prof. Dr. Lothar Brock von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung den Doppelbefund des Demokratischen Friedens. Demokratien führen zwar seit 1812 untereinander keine Kriege mehr, sie führen aber Kriege gegen Autokratien. Bei den Konflikten in der Welt waren die liberalen Demokratien des Westens in den letzten 70 Jahren tonangebend. Und sie griffen dabei auf Begründungen zurück, die ureigene Eigenschaften von Demokratien sind, nämlich die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten. Der Lösungsansatz von Brock für mehr Frieden ist dabei ganz nach dem Geschmack von Mehr Demokratie: Demokratien müssen demokratischer werden. Grade Außen- und Sicherheitspolitik sind Bereiche, in denen Demokratien oftmals nicht sonderlich demokratisch gestaltet sind. Darüber hinaus braucht es in seinen Augen eine Stärkung des internationalen Rechts, etwa des Internationalen Gerichtshofs für Menschenrechte, aber auch eine Demokratisierung der UNO.

    Aber wie stärkt man die Demokratie in der Welt? Einen Weg dazu zeigte uns der in Schweden lebende Journalist Bruno Kaufmann in seinem Vortrag. Auf seinen langen Reisen hat er die Erfahrung gemacht, dass die Idee von Demokratie und Selbstbestimmung eine für alle Menschen gleichermaßen verständliche Idee ist. Welche langen Wege diese Idee manchmal nimmt, zeigt sein Beispiel von Taiwan. Die dort geltenden direktdemokratischen Rechte wurden maßgeblich von Nationalchinesen in die Verfassung geschrieben, welche wiederum einige Jahre im hawaianischen Exil lebten. Dort trafen sie auf Bürger des US-Bundesstaates Oregon. Oregon ist der US-Bundesstaat mit den weitgehendsten direktdemokatischen Rechten, was vor allem daran liegt, dass dort eine große Zahl an Schweizern eingewandert ist.

    In Kaufmanns Augen sind viele der heutigen Demokratien in einer Krise. Ihre Demokratien sind zu indirekt ausgestaltet, sie sind zu stark auf die nationale Ebene orientiert und in ihrer Methodik zu altmodisch. Ein Beispiel für ein fortschrittliches Demokratieinstrument sieht er hingegen in der Europäischen Bürgerinitiative, die ab April 2012 anwendbar sein wird (siehe S. xy). Natürlich sei dies nur ein Anfang, trotzdem sehe er große Chancen, die sich aus diesem Instrument ergeben.

    Große Chancen, von denen viel zu viele nicht genutzt werden, beschrieb auch Rupert Neudeck in seinem Samstagabendvortrag. Neudeck war weltweit bekannt geworden, als er 1979 mit der Cap Anamur über 10.000 vietnamesische Flüchtlinge aus dem Chinesischen Meer rettete. Heute ist er Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme e.V. Neudecks authentische Weise, über seine ganz persönliche Sicht auf die Frage zu sprechen, wo der Krieg enden kann und der Frieden beginnt, war sicherlich einer der Tagungshöhepunkte. Neudecks Überzeugung: Überall in der Welt sei es wichtig, zuerst die Kultur des Landes zu begreifen, in dem man etwas bewegen will. Nur dann könne man bereits bestehende Konfliktlösungspotenziale aufgreifen und weiterentwickeln. Die derzeitige Afghanistan-Strategie greife diese nicht auf. Vielmehr habe sich das am Anfang durchaus vorhandene Vertrauen der Afghanen gegenüber den Deutschen durch beispielsweise den Einsatz von Drohnen und versehentliche Bombenabwürfe der USA auf Hochzeitsgesellschaften ins Gegenteil verkehrt. Ohne die vor Ort vorhandenen Potenziale aufzugreifen und eine Demokratie von innen heraus wachsen zu lassen, werde man aber nicht weiter kommen. Das gelte auch für Afrika, dessen überwiegend junge Bevölkerung vor allen Dingen Infrastrukturprojekte brauche, um dort vor Ort eine Perspektive zu haben. Nur dann könne man verhindern, dass sich Millionen Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen werden. Einmal auf dem Weg kann es für diese Flüchtlinge keinen Weg zurück geben, weil in ihrer Heimat erwartet wird, dass für die oft von mehreren Familien finanzierte Flucht eine Gegenleistung in Form von Geld erfolgt.

    Dass es nur mit den Menschen gelingen kann, Perspektiven zu schaffen und Konflikte auch nach dem Ende einer kriegerischen Auseinandersetzung zu lösen, war auch die Ansicht von Ralf Becker, Ausbilder von Friedensarbeitern beim Ökumenischen Dienst Schalomdiakonat. In seinem Vortrag am Sonntagvormittag wies er vor allen Dingen auf die Notwendigkeit hin, weniger Geld für militärische Aktionen und mehr Geld für präventive Maßnahmen auszugeben. Mit Friedensarbeitern könne es gelingen, die Wahrnehmung des Gegenübers zu stärken und Konflikte so nach und nach abzubauen. „Frieden ist nicht machbar durch kurzfirstige Militäraktionen, aber lernbar durch jahrelange Prozesse“, so Becker, dessen Organisation jedes Jahr 450 Friedensarbeiter ausbildet.

    In der Arbeit der UNO kommt eine solche Sicht auf Konflikte allerdings zu kurz, so Michael Efler, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie in seinem Vortrag zur Schaffung von Frieden durch internationale Organisationen. Gegründet mit dem schon von Kant formulierten Anspruch „in einer Welt voller Teufel internationale Regeln zu schaffen“ sei die innere Verfasstheit der UN das wesentliche Problem, das der Verwirklichung dieses Anspruchs im Wege stünde. Sie sei immer schon zu stark durch die Großmächte dominiert gewesen und habe, wenn Kriege von Großmächten ohne UN-Mandat geführt wurden, diese auch nicht verhindern können. Ohnehin sei die Charta zu stark auf inter-staatliche Kriege ausgerichtet, die aber, wie wir schon seit Freitagabend wussten, nur den kleinsten Teil gewalttätiger Konflikte ausmachen. Die UNO sei zwar alternativlos, aber reformbedürftig, so Eflers Fazit.

    Zum Abschluss bat Roman Huber, geschäftsführender Vorstand von Mehr Demokratie, die Teilnehmer um ein Feedback: Was war neu für mich? Welchen Gedanken habe ich so noch nie vorher gedacht? Spannend war diese Abschlussrunde auch deshalb, weil Huber dazu anregte, Dinge zu benennen, die nicht die schon vorhandene eigene Weltsicht untermauerten, sondern diese aufbrachen und erweiterten.

    Alexander Slonka

    Die Tagung findet statt in Kooperation mit der Stiftung MITARBEIT.


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